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11. Die offene Zukunft des Gens

  • Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille erörtern in ihrem Beitrag das aktuelle wissenschaftliche Verständnis von Genen und ihrer Rolle in Stoffwechsel, biologischer Entwicklung und Evolution komplexer Organismen. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Sonderstellung der Gene als bestimmende Faktoren in den genannten Prozessen im gegenwärtigen Zeitalter der Postgenomik weitgehend relativiert worden sei, untersuchen sie mit diesem Wandel verbundene konzeptuelle Probleme. Zudem diskutieren sie, wie sich die gegenwärtige „Deflation“ des Genbegriffs in Wissenschaftsphilosophie und theoretischer Biologie mit dessen tragender Rolle im vergangenen „Jahrhundert des Gens“ sowie in gegenwärtigen Diskursen und biotechnologischen Zukunftsvisionen vermitteln lässt. Die Autoren stellen zunächst die Debatte um die Reduzierbarkeit der klassischen Genetik mit ihrem abstrakten Genbegriff, der die materielle Grundlage der Vererbungserscheinungen offenlässt, auf die molekulare Genetik dar. Jüngere Forschungsergebnisse zeigten, dass molekulare Veränderungen kontextabhängige, nicht einfach direkt ableitbare Unterschiede auf der organismischen Ebene bewirken. Dies stellte die kategorische Unterscheidung von Genotyp und Phänotyp sowie von genetischen und epigenetischen Faktoren mit Verweis auf die kausale Rolle ersterer in Reproduktion, Entwicklung und Stoffwechsel infrage, lasse sich aber in das Informationsparadigma integrieren. Im Anschluss zeichnen die Autoren die Verengung des Bedeutungshorizontes des Vererbungsbegriffs im 20. Jahrhundert und dessen erneute Ausweitung im Zeitalter der Postgenomik nach. Angesichts der Dekonstruktion und Verabschiedung des Konzepts von Genen als „ultimativen Determinanten“ in Wissenschaftsphilosophie und Theorie der Biologie fragen Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille nach den Gründen für dessen kaum gemindertes Fortleben in der öffentlichen Kommunikation und nicht zuletzt auch in der wissenschaftlichen Forschungspraxis. Sie argumentieren, dass Gene nicht aufgrund eines ontologischen Sonderstatus oder einer herausragenden Erklärungskraft, sondern aufgrund ihrer heuristischen Funktion als Untersuchungsinstrumente und somit aus epistemologischen und forschungspraktischen Gründen eine zentrale Rolle in der Wissenschaft gespielt haben und weiterhin spielen. Die Autoren zeigen Parallelen auf zwischen der Rolle von Genen als „Angriffspunkt“ für wissenschaftliche und technologische Verfahren in der Entwicklung des Forschungsprozess einerseits und ihrer instrumentellen Rolle in der Evolution der Organismen, die einen „Mittelweg zwischen Stabilitäts- und Plastizitätsanforderungen“ (S. 271) biete, andererseits.

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Verfasserangaben:Hans-Jörg Rheinberger, Staffan Müller-Wille
URN:urn:nbn:de:kobv:b4-opus4-35865
ISBN:978-3-8487-8337-3
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):Fünfter Gentechnologiebericht : Sachstand und Perspektiven für Forschung und Anwendung / herausgegeben von Boris Fehse (Sprecher) ; Ferdinand Hucho ; Sina Bartfeld u. a. – Baden-Baden : Nomos-Verlagsgesellschaft, 2021
Verlag:Nomos
Verlagsort:Baden-Baden
Dokumentart:Teil eines Buches (Kapitel, Sammelbandbeitrag)
Sprache:Deutsch
Datum der Veröffentlichung (online):04.11.2021
Veröffentlichende Institution:Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Datum der Freischaltung:21.12.2021
Freies Schlagwort / Tag:Epistemologie; Genbegriff; Postgenomik; Wissenschaftsgeschichte
GND-Schlagwort:Gen; Genetik; Wissenschaftsphilosophie; Wissenschaft; Vererbung; Epigenetik; Reduktionismus
Erste Seite:261
Letzte Seite:276
Institute:BBAW / Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht
DDC-Klassifikation:1 Philosophie und Psychologie / 12 Epistemologie / 120 Epistemologie, Kausalität, Menschheit
Schriftenreihen in Einzelbeiträgen:BBAW / Schriftenreihen / Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppen / Band 44 : Fünfter Gentechnologiebericht : Sachstand und Perspektiven für Forschung und Anwendung
Lizenz (Deutsch):License LogoCreative Commons - CC BY-NC-ND - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International
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