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Die Bibliothek
(2005)
Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille erörtern in ihrem Beitrag das aktuelle wissenschaftliche Verständnis von Genen und ihrer Rolle in Stoffwechsel, biologischer Entwicklung und Evolution komplexer Organismen. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Sonderstellung der Gene als bestimmende Faktoren in den genannten Prozessen im gegenwärtigen Zeitalter der Postgenomik weitgehend relativiert worden sei, untersuchen sie mit diesem Wandel verbundene konzeptuelle Probleme. Zudem diskutieren sie, wie sich die gegenwärtige „Deflation“ des Genbegriffs in Wissenschaftsphilosophie und theoretischer Biologie mit dessen tragender Rolle im vergangenen „Jahrhundert des Gens“ sowie in gegenwärtigen Diskursen und biotechnologischen Zukunftsvisionen vermitteln lässt.
Die Autoren stellen zunächst die Debatte um die Reduzierbarkeit der klassischen Genetik mit ihrem abstrakten Genbegriff, der die materielle Grundlage der Vererbungserscheinungen offenlässt, auf die molekulare Genetik dar. Jüngere Forschungsergebnisse zeigten, dass molekulare Veränderungen kontextabhängige, nicht einfach direkt ableitbare Unterschiede auf der organismischen Ebene bewirken. Dies stellte die kategorische Unterscheidung von Genotyp und Phänotyp sowie von genetischen und epigenetischen Faktoren mit Verweis auf die kausale Rolle ersterer in Reproduktion, Entwicklung und Stoffwechsel infrage, lasse sich aber in das Informationsparadigma integrieren.
Im Anschluss zeichnen die Autoren die Verengung des Bedeutungshorizontes des Vererbungsbegriffs im 20. Jahrhundert und dessen erneute Ausweitung im Zeitalter der Postgenomik nach. Angesichts der Dekonstruktion und Verabschiedung des Konzepts von Genen als „ultimativen Determinanten“ in Wissenschaftsphilosophie und Theorie der Biologie fragen Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille nach den Gründen für dessen kaum gemindertes Fortleben in der öffentlichen Kommunikation und nicht zuletzt auch in der wissenschaftlichen Forschungspraxis. Sie argumentieren, dass Gene nicht aufgrund eines ontologischen Sonderstatus oder einer herausragenden Erklärungskraft, sondern aufgrund ihrer heuristischen Funktion als Untersuchungsinstrumente und somit aus epistemologischen und forschungspraktischen Gründen eine zentrale Rolle in der Wissenschaft gespielt haben und weiterhin spielen.
Die Autoren zeigen Parallelen auf zwischen der Rolle von Genen als „Angriffspunkt“ für wissenschaftliche und technologische Verfahren in der Entwicklung des Forschungsprozess einerseits und ihrer instrumentellen Rolle in der Evolution der Organismen, die einen „Mittelweg zwischen Stabilitäts- und Plastizitätsanforderungen“ (S. 271) biete, andererseits.
On July 17, 1800 Alexander von Humboldt was elected as an extraordinary member of the Académie royale des sciences et belles-lettres at Berlin. The paper first deals with Humboldt’s scientific activities before his election and then goes into detail as far as his integration into the work of the Academy is concerned. Humboldt was elected as a chimiste célèbre, but as a member of the Academy he did not work as a chemist. When Humboldt proposed in 1837 to classify the members of each class in special fields, he chose for himself the field of “mineralogy-geology”. Three sidelights, partly based on newly found archival material, illustrate Humboldt’s activities at the Berlin Academy of Sciences.
"Jeden Morgen geht die Sonne auf" : Oder: Einige Gedanken über die Behäbigkeit der Aufklärung
(2003)
7. Kulturen der Epigenetik
(2017)
Taming the European Leviathan: Health as Politics. A Research Project. This article outlines the research project „Taming the European Leviathan: The Legacy of Post-War Medicine and the Common Good“. It is funded by a Synergy Grant of the European Research Council and unites European researchers comparing health policies (from drug research to prevention) in West- and East-European countries, e.g., Bulgaria, Germany, France, Czechoslovakia, Hungary, and the United Kingdom. The common goal is to provide a different perspective on post-war Europe, a perspective that emphasizes commonalities rather than differences.
Über die Umwälzungsprozesse der deutschen Wissenschaftslandschaft nach der Vereinigung ist viel geschrieben worden – nur selten aber aus der direkten Wahrnehmung von Beteiligten, die das raue Alltagsgeschäft vor Ort selbst erlebt und mitgestaltet haben. Der Autor (Physiker, Hochschullehrer) präsentiert dies in seinem neuen Buch anhand der Beispiele: Abwicklung der DDR-Akademie der Wissenschaften, Aufbau des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Berlin-Adlershof, Gründung der Leibniz-Gemeinschaft und mit einem kurzen Erfahrungsbericht aus der Berliner Landespolitik.
Können wir mit Blick auf die molekularbiologischen, virologischen oder gentechnischen Aspekte das aktuelle Seuchengeschehen angemessen erfassen?
Die Medizinhistoriker Heiner Fangerau und Alfons Labisch skizzieren in ihrem Spotlight einen multiperspektivischen und zugleich integrativen Ansatz für eine Seuchengeschichte mit dem Ziel, „den gesamten Ereignisraum von den Ursachen, unter denen neue Erreger entstehen, über die weltweite Ausbreitung bis hin zu den Auswirkungen vor Ort zu erfassen“ (S. 437). Als Hintergrund ihrer Gedanken weisen sie das dynamische Verhältnis von Natur und Kultur und die daraus resultierenden, stets labilen lokalen und regionalen Biosphären aus. Sozial und kulturell bedingte wissenschaftliche und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse führten zur Benamung, Kommunikation und Inszenierung von – zunächst unbekannten – Krankheitsursachen und den nachfolgenden wiederum kulturell bedingten Gegenmaßnahmen. Auf der Grundlage einer datengetriebenen Produktion und Kommunikation führten Effekte einer weltweiten Verdichtung zu einer Neugestaltung und Störung von Biosphären – und damit zu den permanent drohenden „new emerging diseases“. Diese verschiedenen Aspekte könnten – notwendig immer im Gesamtzusammenhang gesehen – in weiteren Schritten auf einzelne Regionen, Krankheiten oder weitere Fragestellungen hin fokussiert werden. Die empirischen Ergebnisse stellten jeweils Knoten in einem nicht gewichteten Netz interagierender Faktoren dar: sie bildeten ein übergangs- oder nahtloses Netzwerk. Dies ermöglichte, jeweils lokal spezifizierte Seuchengeschehen in ihrem globalen Entstehen und Zusammenwirken zu analysieren.