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Unter dem Oberbegriff „Genomchirurgie“ werden neue Verfahren der Gentechnik zur gezielten Änderung von Genomen subsumiert. Brisant ist dabei, dass die Methodik grundsätzlich auch beim Menschen anwendbar ist. Durch die Veränderung von Keimzellen könnten die Genomänderungen an die Nachkommen vererbt werden. Gerade solche Keimbahn-Eingriffe sind heftig umstritten. Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht fordert in ihrer Analyse ein Moratorium von Keimbahnexperimenten zur Klärung der mit ihr verbundenen offenen experimentellen, ethischen und rechtlichen Fragen.
Die Analyse führt zunächst in die Thematik ein, es folgt eine Auflistung möglicher rechtlicher und ethischer Fragen, die es während des geforderten Moratoriums zu diskutieren gilt.
New, precise genetic engineering methods for genome alteration in living cells, which can be classed together under the generic heading “genome surgery”,are currently sparking a revolution in biomedical research. The Interdisciplinary Research Group Gene Technology Report is, in principle, in favour of research on these promising new methods for the medical sector. However, for the time being, it has clearly spoken out against gene surgery experiments on the human germ line, which could also enter the realm of possibility thanks to these methods.The research group, therefore, supports the call, which has already been discussed at length in scientific and public circles, for a moratorium for germ line experiments. The period of the moratorium should be used to debate the experimental,
ethical and legal aspects of germ line therapy in an open, transparent
and critical manner with a view to more clearly defining the opportunities and
risks of these technologies for man and nature, and to elaborating recommendations for future regulations. The goal of this analysis is to promote a discourse of this kind.
Wissenschaftliche und technologische Entwicklungen, hitzig geführte öffentliche Debatten um Chancen und Risiken oder die wechselnde Brisanz einzelner Themen prägen nach wie vor die kontroversen Auseinandersetzungen um die verschiedenen Anwendungen der Gentechnologie in Deutschland. Mit dem zweiten Gentechnologiebericht legt die gleichnamige interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, vier Jahre nach dem Erscheinen ihres ersten Berichts, wieder ihr umfassendes Monitoring zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Gentechnologie vor. In bewährt interdisziplinärer Weise wird der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik in den verschiedenen Gebieten der Gentechnologie analysiert. Das Indikatoren-gestützte Vorgehen, das hierfür in den letzten Jahren etablierte wurde, erfährt dabei eine konsequente Fortführung. In Überblicksartikeln werden vier Themenbereiche betrachtet: die Forschung an pluripotenten humanen Stammzellen, die molekulargenetische Diagnostik in der Humanmedizin, die somatische Gentherapie sowie der Gentechnologieeinsatz in Pflanzenzüchtung und Agrarwirtschaft. Zwei Querschnittsthemen, eine allgemeine Darstellung aktueller wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen in der Grundlagenforschung sowie die Vorstellung eines übergreifenden ethischen Kategoriensystems für gentechnologische Anwendungen, runden den Bericht ab.
1. Einleitung
(2021)
Mit dem Kapitel "Themenbereich somatische Gentherapie: Translationale und klinische Forschung" im "Dritten Gentechnologiebericht" wird ein umfassendes Monitoring zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Gentherapie vorgelegt. Das Indikatoren-basierte Vorgehen, das in den letzten Jahren etabliert wurde, wird dabei fortgeführt. Zu den aufgegriffenen Themen gehören neben einer Einführung in die Grundlagen sowie in die Gentherapie auch die Vektorologie (Sicherheit, Effizienz und Spezifizität von Gentransfervektoren) sowie die klinische Gentherapie bei ausgewählten Indikationen, etwa bei monogen bedingten Erkrankungen oder malignen Erkrankungen. Problemfelder und Indikatoren zur Gentherapie runden den Beitrag ab.
Der Sachstandsbericht zur somatischen Gentherapie von Boris Fehse behandelt aktuelle Fortschritte in der Krebsgentherapie und der somatischen Gentherapie gegen monogene Erbkrankheiten. Mit Blick auf die Entwicklung seit dem therapeutischen Durchbruch der CAR-T-Zelltherapie (siehe unten) bei bestimmten Blutkrebserkrankungen vor etwas mehr als zehn Jahren konstatiert der Autor ein nachhaltiges Comeback der somatischen Gentherapie. In den letzten Jahren habe es eine Vielzahl klinischer Studien und mehrere Zulassungen von Gentherapien, insbesondere gegen Krebserkrankungen, gegeben. Zudem habe die technische Weiterentwicklung der Gentransfertechnologien und des Genome-Editing die Erforschung gentherapeutischer Ansätze in vielen weiteren Anwendungsfeldern wie z. B. Infektionskrankheiten beflügelt. Ein ursprünglich gegen Krebs entwickelter gentherapeutischer Ansatz mittels Boten-RNA (mRNA) habe die rasante Entwicklung der als Erste zugelassenen und hochwirksamen Corona-Impfstoffe der Firmen BioNTech/Pfizer und Moderna ermöglicht.
Zu den gegenwärtig erfolgreichsten Strategien der Krebsgentherapie zählt der Autor Ansätze, Immunzellen durch genetische Veränderungen gegen Tumorzellen einzusetzen, bspw. CAR-T-Zellen, die gegen bestimmte Oberflächenproteine auf Krebszellen scharfgemacht werden. Im Anschluss an eine Diskussion der großen Chancen, aber auch signifikanten Nebenwirkungen der CAR-T-Zelltherapie bei Krebserkrankungen des Blutsystems wird erläutert, weshalb sich diese Ansätze nicht einfach auf solide Tumoren übertragen lasse und wie die Effizienz von CAR-T-Zellen bei soliden Tumoren erhöht werden könnte. Eine Herausforderung für die breite Anwendung zellulärer Immuntherapien bestehe darin, dass es sich i. d. R. um individualisierte Therapien handele, was mit einem hohen Aufwand, hohen Kosten und mitunter weiteren Problemen wie einem Mangel an funktionsfähigen Immunzellen bei den betroffenen Patient*innen einhergehe. Aus diesen Gründen werde an der Herstellung universell einsetzbarer CAR-T-Zellen gearbeitet sowie an Ansätzen, die T-Zellen direkt im Körper genetisch zu modifizieren, um eine krebsspezifische Immunantwort zu aktivieren. Des Weiteren beschreibt Boris Fehse gentherapeutische Ansätze, die auf die Zerstörung des Tumors ausgerichtet sind, bspw. durch tumorzerstörende Viren, „Suizidgene“ oder die Rekonstitution des Tumorsuppressors TP53. Auch im Bereich der tumorzerstörenden Viren gebe es eine erste Zulassung und mehrere weit fortgeschrittene klinische Studien. Im dritten Abschnitt geht der Autor auf den gegenwärtigen Stand der seit langem anvisierten Gentherapien für monogene Erbkrankheiten ein, für die es in den letzten Jahren einige klinische Erfolge gegeben habe, die mitunter jedoch schwere Nebenwirkungen ausgelöst hätten. Zum Schluss wird die Kontroverse um die sehr hohen Kosten für Gentherapien und damit verbundene Einschränkungen des Zugangs zu ihnen vorgestellt.
Die Gentechnologien bergen auch 20 Jahre nach der Gründung der IAG Gentechnologiebericht eine gesellschaftliche Sprengkraft, bedingt durch eine hohe wissenschaftliche Dynamik, die immer stärker von der Grundlagenforschung in die Anwendung dringt. Neue Methoden, z. B. des Genome-Editing, beschleunigen zudem die Entwicklung und beeinflussen dabei alle gentechnischen Forschungs- und Anwendungsbereiche. Die IAG hat die unterschiedlichen Gentechnologien mit ihren jeweiligen Anwendungsbereichen getrennt in den Blick genommen. Beobachtet wurden insbesondere die Stammzell- und Organoidforschung, die Epigenetik, die Gendiagnostik, die Einzelzellanalytik, die somatische Gentherapie, die Grüne Gentechnologie und die synthetische Biologie. Nach 20 Jahren Laufzeit der IAG werden im Folgenden die aktuell als zentral angesehenen Entwicklungen und darauf bezogene Handlungsempfehlungen für die genannten Themenbereiche zusammengefasst.