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Das Spotlight von Hans-Georg Dederer analysiert das wegweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 25.07.2018 mit Blick auf die Urteilsbegründung und prozessuale Situation. Das genannte Urteil habe zur Folge, dass genomeditierte Organismen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen seien. Mit dieser Einstufung gingen umfangreiche Auflagen für die Freisetzung und das Inverkehrbringen dieser Organismen einher, welche dem Autor zufolge Probleme des Normvollzugs nach sich zögen. So entstünden u. a. hohe Hürden für die Genehmigung und Durchführung von Feldversuchen, aufwendige Kennzeichnungspflichten und Schwierigkeiten der Nachweisbarkeit bestimmter Mutationen, die bspw. bei Haftungsfragen wegen „gentechnischer Kontamination“ relevant werden könnten. Des Weiteren dürften sich negative welthandelsrechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen ergeben, wobei der Autor das unterschiedliche Schutzniveau von genomeditierten Organismen gegenüber weitaus stärker und unspezifischer veränderten Mutageneseorganismen als inkonsistent und mit dem Recht der Welthandelsorganisation unvereinbar sowie als schwer zu rechtfertigende Handelshemmnisse für Drittstaaten einstuft. Der Beitrag endet mit einem Appell an die Politik, die relevante Richtlinie 2001/18/EG zu ändern.
Kann Gentechnik einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft leisten?
Geleitet von dieser Frage erstellt Ortwin Renn in seinem Beitrag eine „Nachhaltigkeitsbilanz“ der Grünen Gentechnik. Der Autor plädiert dafür, nachhaltige Entwicklung als Leitbild für eine gemeinwohlorientierte Gentechnikbewertung zu etablieren und stellt Chancen und Risiken von Gentechnik jeweils mit Blick auf die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Dimension von Nachhaltigkeit dar. Unter ökologischer Nachhaltigkeit fasst er v.a. drei Ziele: Dekarbonisierung, Dematerialisierung und Renaturalisierung. Während Gentechnik sich kaum auf die beiden ersteren auswirke, lasse sie mit Blick auf Renaturalisierung und Biodiversität sowohl größere Chancen als auch größere Risiken erkennen. Einerseits könnten gentechnisch veränderte Pflanzen einen substanziellen Beitrag zu ökologischer Nachhaltigkeit leisten, bspw. durch die Herstellung an regionale Bedingungen angepasster bzw. ertragreicherer Pflanzensorten. Andererseits bestünden durch potenziellen Gentransfer von Kultur auf Wildpflanzen sowie den durch die Gentechnik möglicherweise beschleunigten Trend hin zu Monokulturen die Risiken einer Verringerung der Biodiversität und Belastungen von Ökosystemen.
Unter ökonomischen Aspekten der Nachhaltigkeit fasst Ortwin Renn ebenfalls drei Ziele: Versorgungssicherheit, Förderung der Kreislaufwirtschaft sowie sozial und langfristig abgesicherte Beschäftigungs- und Eigentumsverhältnisse (bspw. die Sicherung der Existenzfähigkeit bäuerlicher Betriebe). Der Gentechnik attestiert er „das Potenzial, mittel- und langfristige wirtschaftliche Vorteile für Anbieter von Agrardienstleistungen, Saatguthersteller und landwirtschaftliche Betrieben zu bieten“ (S. 489), die allerdings unter den gegebenen Marktstrukturen hauptsächlich großen Agrarfirmen und Saatgutherstellern zu Gute kämen. Gentechnik spiele bei den gegenwärtigen Konzentrationsprozessen keine ursächliche, möglicherweise aber eine verstärkende Rolle. Sie biete aber auch Chancen für Kleinunternehmen, ihr Einkommen zu verbessern und ihre
Existenz zu sichern.
Der sozialen Komponente der Nachhaltigkeit ordnet Ortwin Renn vier Ziele zu: „Gleichheit der Lebensbedingungen (intra- und intergenerationale Gerechtigkeit), Erhalt der menschlichen Gesundheit, Souveränität und Teilhabe am wirtschaftlichen und politischen Geschehen sowie soziale und kulturelle Akzeptanz“ (S. 490).
Ob Gentechnik zur Erreichung dieser Ziele beitrage oder ihnen abträglich sei, hänge v. a. von der Art ihrer Einführung und Regulierung ab, wobei der Autor das Potenzial für Chancen in diesem Bereich als eher gering, das für Risiken dagegen als weitreichend, aber nicht schwerwiegend einstuft.
Der Beitrag von Jürgen Hampel und Kolleg*innen stellt die Ergebnisse des TechnikRadar 2020, einer aktuellen Studie über die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu verschiedenen Anwendungen der Gentechnik vor. Bei der Untersuchung der Einstellungen zum Gentechnikeinsatz in der Landwirtschaft wurden die Einstellungen zur klassischen Gentechnik und zur seit Jahrzehnten eingesetzten, bisher aber kaum umstrittenen Mutagenesezüchtung, bei der neue Pflanzensorten durch den Einsatz von genverändernder Bestrahlung oder von Chemikalien hergestellt werden, verglichen. Beide Techniken seien auf hohe Ablehnung gestoßen, was die Autor*innen auf verbreitete und durch Werbung verstärkte, romantisierende Vorstellungen von Landwirtschaft, die Hochschätzung von Natur und Natürlichkeit sowie fehlende Nutzenerkennung zurückführen. Auch gegenüber der gentechnischen Herstellung von Laborfleisch, das von Befürworter*innen als Ansatz zur Lösung globaler Ernährungs-, Umwelt- und Tierschutzprobleme dargestellt werde, bestehen der Studie zufolge große Vorbehalte seitens der Öffentlichkeit. Als Gründe für die verbreitete Ablehnung werden u. a. Entfremdung, Sicherheitsbedenken und dass Laborfleisch kaum als adäquater Lösungsansatz für die globalen Ernährungsprobleme gesehen wird, angeführt. Im Bereich medizinischer Anwendungen fragte der TechnikRadar 2020 zunächst die Einstellungen zur Gewinnung von Ersatzorganen aus genetisch veränderten Tieren (Xenotransplantation) sowie aus Stammzellen (Organoide) ab. Tierschutzgründe hätten zu einer hohen Ablehnung der Xenotransplantation geführt, wohingegen die Transplantation von im Labor hergestellten Organoiden hohe Zustimmungswerte verzeichnet habe und nur von einem Fünftel für ethisch inakzeptabel gehalten werde. Bei der Untersuchung der Einstellungen zur Gentherapie differenzierte die Studie zwischen Gentherapie am Erwachsenen, Gentherapie am Embryo und Keimbahntherapie, denen jeweils eine stark abgestufte Akzeptanz korrespondiere: während 70 % der Befragten Gentherapie an Erwachsenen befürworteten, habe nicht einmal jeder Fünfte der Keimbahntherapie zugestimmt.
Die grundsätzliche Ablehnung der Keimbahntherapie falle jedoch mit der Hälfte der Befragten im Vergleich zu früheren Umfragen überraschend gering aus. Die Autor*innen betonen abschließend die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Einstellungen zur Gentechnik entlang bestimmter Anwendungen, die eine pauschale Ablehnung Grüner und eine pauschale Zustimmung zu Roter Gentechnik hinter sich gelassen habe und fordern, dies in der Wissenschaftskommunikation zu berücksichtigen.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Arbeit der IAG Gentechnologiebericht sind die sog. Problemfelderhebung und die Indikatorenanalyse, die hinsichtlich ihrer Ziele, Methodik und Ergebnisse in dem Beitrag von Angela Osterheider, Louise Herde und Lilian Marx-Stölting vorgestellt werden. Im Zentrum steht dabei das vielschichtige und von den verschiedensten Fachdisziplinen geprägte Feld der Gentechnologien in Deutschland. Darunter fallen Themen, die zum Teil seit Beginn der Arbeit der IAG im Rahmen von Themenbänden behandelt worden sind: so wird eine Untersuchung der Entwicklung über die Zeit hinweg ermöglicht: Gentherapie, Grüne Gentechnologie, Gendiagnostik, Stammzellforschung, Epigenetik, synthetische Biologie und Organoidforschung (als Teilbereich der Stammzellforschung).
Diese Themenfelder werden in einer messbaren und repräsentativen Form für die fachliche und interessierte breitere Öffentlichkeit erschlossen. Im Rahmen dieses Ansatzes werden zunächst qualitative Problemfelder, d. h. öffentlich diskutierte Aspekte und Fragen zu den Themen, erhoben, die dann den vier Leitdimensionen (wissenschaftliche, ethische, soziale und ökonomische Dimension) sowie Indikatoren (quantitative Daten im Zeitverlauf) zugeordnet werden. Die im Rahmen des Fünften Gentechnologieberichts beleuchteten Problemfelder sind: Realisierung Forschungsziele, Forschungsstandort Deutschland, öffentliche Wahrnehmung, soziale Implikationen, gesundheitliche Risiken, Dialogverpflichtung der Forschung und ethische Implikationen. Die Indikatoren, die die genannten Problemfelder quantitativ beschreiben und somit ihre Bedeutung messbar machen sollen, betreffen die mediale Abbildung, die Anzahl an Neuerscheinungen, Online- Suchanfragen, internationalen Fachartikeln, Fördermitteln durch den Bund, die DFG und die EU sowie öffentlichen Veranstaltungen zu den jeweiligen Themenfeldern.
Die synthetische Biologie (SynBio) ist ein höchst interdisziplinärer Forschungszweig, der ein ganzes Spektrum naturwissenschaftlicher Disziplinen vereint. Dies führt zu Schwierigkeiten, Expert*innen auf dem Gebiet als solche zu erkennen, da sich selbst Wissenschaftler*innen der SynBio nicht vorrangig als solche bezeichnen würden.
Der Beitrag von Angela Osterheider und Kolleg*innen verfolgt daher zwei Ziele:
Zum einen wird die Webapplikation ExpertExplorer vorgestellt, die fachlich ausgewiesene Expert*innen auf einem Forschungsgebiet anhand ihrer Publikationen ermitteln kann. Zum anderen beschreiben die Autor*innen unter Anwendung des ExpertExplorers die Forschungslandschaft SynBio, indem v. a. in Deutschland tätige Wissenschaftler*innen mit Expertise auf dem Gebiet der synthetischen Biologie recherchiert werden. Abschließend wird die Funktionsweise des ExpertExplorers sowie die vorgestellte Analyse reflektiert und ein Fazit gezogen. Die Autor*innen halten die Applikation für geeignet, um sich schnell und umfassend einen aktuellen Überblick über fachlich ausgewiesene Expert*innen auf den Feldern biomedizinischer Forschung zu verschaffen und auch langfristige Entwicklungen von Forschungslandschaften sichtbar zu machen.
27. Anhang
(2021)
Die Gentechnologien bergen auch 20 Jahre nach der Gründung der IAG Gentechnologiebericht eine gesellschaftliche Sprengkraft, bedingt durch eine hohe wissenschaftliche Dynamik, die immer stärker von der Grundlagenforschung in die Anwendung dringt. Neue Methoden, z. B. des Genome-Editing, beschleunigen zudem die Entwicklung und beeinflussen dabei alle gentechnischen Forschungs- und Anwendungsbereiche. Die IAG hat die unterschiedlichen Gentechnologien mit ihren jeweiligen Anwendungsbereichen getrennt in den Blick genommen. Beobachtet wurden insbesondere die Stammzell- und Organoidforschung, die Epigenetik, die Gendiagnostik, die Einzelzellanalytik, die somatische Gentherapie, die Grüne Gentechnologie und die synthetische Biologie. Nach 20 Jahren Laufzeit der IAG werden im Folgenden die aktuell als zentral angesehenen Entwicklungen und darauf bezogene Handlungsempfehlungen für die genannten Themenbereiche zusammengefasst.
1. Einleitung
(2021)
Der Initiator und langjährige Sprecher, derzeit stellvertretende Sprecher, der Interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Ferdinand Hucho, präsentiert in seinem Spotlight deren Tätigkeit, insbesondere das Monitoringsystem. Dabei stellt er zunächst das der Arbeit der IAG zu Grunde liegende Verständnis von Monitoring als das eines Observatoriums vor, das über Kernaussagen und Handlungsempfehlungen an die Politik auch beratend tätig sei. Anschließend diskutiert er die Indikatorenanalyse, als ein Alleinstellungsmerkmal der IAG und Messinstrument des Gentechnologieberichtes. Dabei werde anhand messbarer Teilgrößen wie z. B. die Anzahl an Publikationen, Fördermitteln und Veranstaltungen zu Gentechnologien deren Relevanz in Deutschland konkretisiert und fassbar gemacht. Ergänzend trete die Problemfeldanalyse hinzu, die anhand der wissenschaftlichen, ethischen, sozialen und ökonomischen Dimension die Relevanz bestimmter im öffentlichen Diskurs identifizierter Probleme sichtbar mache. Zum Schluss werden Hinweise für die Durchführung von Monitoringprojekten zu anderen Themen aus den Erfahrungen abgeleitet.