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Die Frage nach der Vererbbarkeit von epigenetischen Veränderungen, also von Änderungen nicht der Gene selbst, sondern ihrer Aktivität, wird schon lange und sehr kontrovers diskutiert. In ihrem Beitrag stellen Ali Jawaid und Isabelle M. Mansuy den gegenwärtigen Stand der Forschung zu generationsübergreifenden Auswirkungen von Traumata dar und diskutieren deren Bedeutung für Individuen und Gesellschaft. Traumata definieren sie als überwältigenden Stress, der die physische und psychische Gesundheit von Betroffenen dauerhaft schädigen und bspw. zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit und posttraumatischen Belastungsstörungen führen könne. Die biologische Basis der Vererbung der Folgen psychischer Traumata liegt dem Autorenteam zufolge in der Übertragung epigenetischer Veränderungen auf die Fortpflanzungsorgane und die Keimbahn durch die traumabedingte Aktivierung bestimmter Signalwege.
Ali Jawaid und Isabelle M. Mansuy fassen ihren Beitrag folgendermaßen zusammen: „Die Vorstellung, dass psychologische Traumata zu Effekten führen, die potenziell vererbbar sind, ist von großer Bedeutung für die Gesellschaft, wenn man bedenkt, wie viele Individuen durch gegenwärtige und jüngste menschliche Konflikte traumatisiert wurden. Dieses Kapitel diskutiert das Konzept der epigenetischen Vererbung im Zusammenhang mit Merkmalen, die aus einer solchen Traumaexposition resultieren, sowie deren Auswirkungen auf das Leben eines Individuums und auf die Gesellschaft. Es gibt einen Überblick über Studien an Tieren und Menschen zur inter- und transgenerationalen Weitergabe der Auswirkungen psychologischer Traumaexpositionen, indem es die Frage behandelt, wie Traumaexposition und damit verbundene emotionale und kognitive Störungen Spuren in der Keimbahn hinterlassen können. Auch die Frage nach ‚Gelegenheitsfenstern‘ in verschiedenen Lebensabschnitten, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter, in denen die Vererbung von Traumafolgen verhindert werden kann, wird diskutiert. Insbesondere arbeitet das Kapitel die Implikationen der Forschung über die Vererbung von Traumafolgen im Zusammenhang mit politischen und ethnischen Konflikten heraus. Dabei geht es auch darum, was Menschen, die langfristig Frieden sichern wollen (‚peace builder‘), aus dem Gebiet der epigenetischen Vererbung lernen können und wie sie mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten können, um Strategien und politische Entscheidungen mit biologischen Erkenntnissen zu bereichern und den Frieden zu fördern“ (S. 278–279).
Der Initiator und langjährige Sprecher, derzeit stellvertretende Sprecher, der Interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Ferdinand Hucho, präsentiert in seinem Spotlight deren Tätigkeit, insbesondere das Monitoringsystem. Dabei stellt er zunächst das der Arbeit der IAG zu Grunde liegende Verständnis von Monitoring als das eines Observatoriums vor, das über Kernaussagen und Handlungsempfehlungen an die Politik auch beratend tätig sei. Anschließend diskutiert er die Indikatorenanalyse, als ein Alleinstellungsmerkmal der IAG und Messinstrument des Gentechnologieberichtes. Dabei werde anhand messbarer Teilgrößen wie z. B. die Anzahl an Publikationen, Fördermitteln und Veranstaltungen zu Gentechnologien deren Relevanz in Deutschland konkretisiert und fassbar gemacht. Ergänzend trete die Problemfeldanalyse hinzu, die anhand der wissenschaftlichen, ethischen, sozialen und ökonomischen Dimension die Relevanz bestimmter im öffentlichen Diskurs identifizierter Probleme sichtbar mache. Zum Schluss werden Hinweise für die Durchführung von Monitoringprojekten zu anderen Themen aus den Erfahrungen abgeleitet.
Der Beitrag von Jürgen Hampel und Kolleg*innen stellt die Ergebnisse des TechnikRadar 2020, einer aktuellen Studie über die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu verschiedenen Anwendungen der Gentechnik vor. Bei der Untersuchung der Einstellungen zum Gentechnikeinsatz in der Landwirtschaft wurden die Einstellungen zur klassischen Gentechnik und zur seit Jahrzehnten eingesetzten, bisher aber kaum umstrittenen Mutagenesezüchtung, bei der neue Pflanzensorten durch den Einsatz von genverändernder Bestrahlung oder von Chemikalien hergestellt werden, verglichen. Beide Techniken seien auf hohe Ablehnung gestoßen, was die Autor*innen auf verbreitete und durch Werbung verstärkte, romantisierende Vorstellungen von Landwirtschaft, die Hochschätzung von Natur und Natürlichkeit sowie fehlende Nutzenerkennung zurückführen. Auch gegenüber der gentechnischen Herstellung von Laborfleisch, das von Befürworter*innen als Ansatz zur Lösung globaler Ernährungs-, Umwelt- und Tierschutzprobleme dargestellt werde, bestehen der Studie zufolge große Vorbehalte seitens der Öffentlichkeit. Als Gründe für die verbreitete Ablehnung werden u. a. Entfremdung, Sicherheitsbedenken und dass Laborfleisch kaum als adäquater Lösungsansatz für die globalen Ernährungsprobleme gesehen wird, angeführt. Im Bereich medizinischer Anwendungen fragte der TechnikRadar 2020 zunächst die Einstellungen zur Gewinnung von Ersatzorganen aus genetisch veränderten Tieren (Xenotransplantation) sowie aus Stammzellen (Organoide) ab. Tierschutzgründe hätten zu einer hohen Ablehnung der Xenotransplantation geführt, wohingegen die Transplantation von im Labor hergestellten Organoiden hohe Zustimmungswerte verzeichnet habe und nur von einem Fünftel für ethisch inakzeptabel gehalten werde. Bei der Untersuchung der Einstellungen zur Gentherapie differenzierte die Studie zwischen Gentherapie am Erwachsenen, Gentherapie am Embryo und Keimbahntherapie, denen jeweils eine stark abgestufte Akzeptanz korrespondiere: während 70 % der Befragten Gentherapie an Erwachsenen befürworteten, habe nicht einmal jeder Fünfte der Keimbahntherapie zugestimmt.
Die grundsätzliche Ablehnung der Keimbahntherapie falle jedoch mit der Hälfte der Befragten im Vergleich zu früheren Umfragen überraschend gering aus. Die Autor*innen betonen abschließend die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Einstellungen zur Gentechnik entlang bestimmter Anwendungen, die eine pauschale Ablehnung Grüner und eine pauschale Zustimmung zu Roter Gentechnik hinter sich gelassen habe und fordern, dies in der Wissenschaftskommunikation zu berücksichtigen.
10. Technikfolgenabschätzung zukünftiger Bio- Und Gentechnologie : Visionen und Partizipation
(2018)
Genome-Editing und Einzelzellanalyse sind zwei bahnbrechende biotechnologische Methoden, die die gesamte Bandbreite der lebenswissenschaftlichen Forschung und Anwendung verändert und erweitert haben. Beide waren bereits Gegenstand eigenständiger Publikationen der IAG Gentechnologiebericht.1 Sie werden in diesem Kapitel in ihren Grundzügen und ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Gentechnologien vorgestellt sowie die ethischen und rechtlichen Kontroversen um sie skizziert. Zunächst geht es um die wissenschaftlichen Grundlagen des Genome-Editing, womit Verfahren bezeichnet werden, durch die gezielt und relativ präzise Basenabfolgen im Genom lebender Zellen verändert werden können. Unter den „Genscheren“ wird das CRISPR/Cas-System mit Blick auf seine Funktionsweise, Entdeckungsgeschichte und Weiterentwicklung vorgestellt. Danach werden ethische und rechtliche Kontroversen um genomeditierte Pflanzen und den Einsatz des Genome-Editing in der menschlichen Keimbahn diskutiert. Zentraler Streitpunkt beim Einsatz von Genome-Editing in Pflanzenzüchtung und Landwirtschaft ist die regulatorische Frage, ob mittels Genome-Editing erzeugte Pflanzen, die lediglich punktuelle, schwer nachweisbare Mutationen und keine Fremdgene enthalten, als gentechnisch veränderte Organismen im Sinne des Gentechnikrechts gelten sollten – wie der EU-Gerichtshof 2018 entschied – oder nicht. Im Anschluss geht es um die ethischen und rechtlichen Aspekte von Keimbahnmodifikationen, also von auf alle folgenden Generationen vererbbaren Eingriffen in das menschliche Erbgut, die entweder therapeutischen bzw. präventiven Zwecken dienen können oder aber dem sog. Enhancement, also der Steigerung von Fähigkeiten oder der Erzeugung bestimmter Eigenschaften. Auch hier werden Pro- und Kontra-Argumente erörtert und die Prinzipien und Empfehlungen verschiedener Stellungnahmen skizziert. Der erste Teil des Kapitels schließt mit dem Fall der 2018 geborenen chinesischen Zwillingsmädchen, deren Erbgut durch Genome-Editing verändert worden war.
Der zweite Teil stellt die Einzelzellanalyse vor mit Blick auf ihre Funktionsweise, den gegenwärtigen Forschungsstand und ihr Potenzial für Anwendungen in biologischer Forschung und Medizin. Durch die Einzelzellanalyse gewinnbare Daten über einzelne Zellen gewähren einen zuvor unerreichbaren Einblick in deren Funktionsweise innerhalb von Geweben bzw. Zellpopulationen. Ermöglicht wurde dies durch technologische Entwicklungen wie Next-Generation-Sequencing und Omics-Technologien, die komplexe Vorgänge in Zellen erschließen. Weitere Schritte auf dem Weg zu einer personalisierten Medizin könnten durch neue Möglichkeiten der Untersuchung patientenspezifischer Tumore, zellulärer Veränderungen bei chronischen Erkrankungen und das Ansprechen bestimmter Zellen auf Medikamente zurückgelegt werden. Der Vergleich der Zellen Erkrankter mit denen Gesunder gibt Aufschluss über individuelle Krankheitshintergründe. Die komplexen und umfangreichen Daten der Einzelzellanalytik stellen hohe Ansprüche an den technischen Umgang mit und Austausch von ihnen und ihre Interpretation sowie an Datensicherheit und Datensouveränität.
1. Einleitung
(2021)
Mit dem Kapitel "Themenbereich somatische Gentherapie: Translationale und klinische Forschung" im "Dritten Gentechnologiebericht" wird ein umfassendes Monitoring zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Gentherapie vorgelegt. Das Indikatoren-basierte Vorgehen, das in den letzten Jahren etabliert wurde, wird dabei fortgeführt. Zu den aufgegriffenen Themen gehören neben einer Einführung in die Grundlagen sowie in die Gentherapie auch die Vektorologie (Sicherheit, Effizienz und Spezifizität von Gentransfervektoren) sowie die klinische Gentherapie bei ausgewählten Indikationen, etwa bei monogen bedingten Erkrankungen oder malignen Erkrankungen. Problemfelder und Indikatoren zur Gentherapie runden den Beitrag ab.