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- Akademienvorhaben Die Griechischen Christlichen Schriftsteller (1)
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Der Beitrag von Jochen Taupitz befasst sich mit dem rechtlichen Status von Hirnorganoiden im Kontext des deutschen Rechts. Hirnorganoide sind Organoide, die verschiedene Regionen des Gehirns außerhalb des Körpers in dreidimensionaler Zellkultur näherungsweise nachbilden. Spezielle Rechtsregeln zur Herstellung und Verwendung von Hirnorganoiden existieren dem Autor zufolge in Deutschland nicht, ebenso wenig wie zu Organoiden im Allgemeinen. Ihre juristische Einordnung habe, wie diejenige anderer menschlicher Zellen, Gewebe und Organe, mehrere Regelungsbereiche in den Blick zu nehmen. Diese betreffen die Herkunft bzw. Gewinnung des Ausgangsmaterials, die Einordnung der Organoide selbst und die Art und Weise ihrer (geplanten) Verwendung. Aufgrund der großen – auch anthropologischen – Bedeutung, die dem menschlichen Gehirn beigemessen werde, sei eine angemessene Aufklärung und Einwilligung der etwaigen Spender*innen von Ausgangszellen, soweit diese für die Herstellung von Hirnorganoiden verwendet werden, erforderlich. Dies gelte auch für eine Übertragung der hergestellten Hirnorganoide auf (andere) Patient*innen. Der Autor diskutiert die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen unter Betonung ihres freiheitlichen Ausgangspunktes, der eine Begründung nicht der Freiheit, sondern etwaiger Einschränkungen erforderlich mache. Im Kontext von Hirnorganoiden betreffe dies u. a. die Wissenschaftsfreiheit, die Menschenwürde und die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die letztgenannten Grundrechte seien in erster Linie Abwehrrechte, konkret vor allem der Spender*innen der für die Hirnorganoide verwendeten Zellen. Aus ihnen folge bezogen auf (zukünftige), von Hirnorganoiden gesundheitlich eventuell profitierende Patient*innen aber auch, dass der Staat nicht ohne hinreichenden Grund z. B. therapeutische Maßnahmen verbieten dürfe.
Fruzsina Molnár-Gábor und Andreas Merk analysieren in ihrem Spotlight die datenschutzrechtliche Beurteilung von Neurodaten mit Fokus auf medizinische Anwendungen. Neurodaten werden durch Messung von Signalen im Gehirn erhoben und als personenbezogene, aufgrund ihrer Aussagekraft über mentale Prozesse und kognitive Fähigkeiten sowie ggf. handlungsrelevante Muster und Strukturen des Denkens äußerst sensible Daten dargestellt. Ihr prädiktives Potenzial sei mit dem genetischer Daten vergleichbar, aber stärker von informationellen Unsicherheiten geprägt und aufgrund von Interaktionsmöglichkeiten durch Gehirn-Computerschnittstellen direkt nutzbar. Der Chance auf größere Autonomie von Patient*innen durch neurotechnische Geräte wie z. B. digitale Sprechermöglichung, stellen die Autorin und der Autor die Gefahr einer „schleichenden Aushöhlung der Selbstbestimmung“ (S. 362) und Risiken der psychischen und physischen Integrität sowie Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit gegenüber.
Im zweiten Teil des Beitrags werden spezifische Herausforderungen der
informierten Einwilligung, insbesondere die Erfüllung von Aufklärungspflichten, eine geeignete Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung sowie der Umgang mit dabei entstehenden neuen Informationen und Prädiktionsmöglichkeiten, diskutiert.
Fruzsina Molnár-Gábor und Andreas Merk fokussieren insbesondere auf die mit den Eigenschaften von Neurodaten einhergehenden Herausforderungen für Kontrollmöglichkeiten der Datenverarbeitung, das Recht auf Vergessen, insbesondere das eigene Vergessen der Daten und Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung.
Abschließend fordern sie dazu auf, kontextbezogene Verarbeitungsregeln
für einen datenschutzkonformen Umgang mit Neurodaten sowie ein
Konzept der Informations-Governance zu erstellen.
Dieses Kapitel beleuchtet die Voraussetzungen, die Chancen, beobachtbaren Entwicklungen und ethischen Herausforderungen einer Medizin, die als personalisierte Medizin, Systemmedizin oder Präzisionsmedizin bezeichnet wird und wesentlich auf der Idee basiert, alle gesundheitsrelevanten Daten einer Person so zu erfassen, dass Prävention, Diagnose und Therapie stärker auf die individuellen biologischen Eigenschaften dieser Person zugeschnitten werden können. Hierfür werden zunächst die zentralen Begriffe ‚Big Data‘ und ‚personalisierte Medizin‘, sowie ihre Verwendung und Begriffsgeschichte eingeführt (Abschnitt 17.1 und 17.2). Gerade weil einerseits Daten und Wissen aus beiden Handlungsfeldern – Forschung und Gesundheitsversorgung – für eine datenintensive und personalisierte Medizin systematisch zusammengeführt werden sollen und andererseits unterschiedliche Prinzipien in der ärztlichen Ethik und Forschungsethik handlungsleitend sind, stellen sich hier wichtige ethische Fragen (Abschnitt 17.3): Etwa nach dem Umgang mit Zufallsbefunden, nach der Verantwortung von Forscher*innen für den Schutz der Privatsphäre der Patient*innen oder nach den Möglichkeiten einer ausreichend informierten Einwilligung. Deutlich wird hierbei, dass, neben den individuellen Kontrollmöglichkeiten über Daten, die Anforderungen an eine transparente und rechenschaftspflichtige Daten-Governance, also an die Lenkung und Aufsicht der Datennutzung, immer wichtiger werden (Abschnitt 17.4). Diese wird zum einen im Rückgriff auf das Konzept einer solidarischen Datennutzung mit Blick auf notwendige Regeln der Daten-Governance ausgeführt (Abschnitt 17.4.1). Zum anderen wird im Abschnitt 17.4.2 gefragt, inwiefern eine moralische Hilfspflicht begründet werden kann, individuelle klinische Daten der Forschung zur Verfügung zu stellen. Verschiedene Möglichkeiten, persönliche Daten für die Forschung freizugeben, werden in Abschnitt 17.4.3 vorgestellt – insbesondere am Beispiel der sogenannten ‚Datenspende‘. Zuletzt (Abschnitt 17.5) werden die Konzepte der Selbstermächtigung (Empowerment) und der Partizipation von Patient*innen, die im Zusammenhang mit datenintensiver Forschung immer häufiger diskutiert werden, kritisch in den Blick genommen. Statt einer inflationären Anwendung dieser Begriffe auf alle Praktiken, in denen Patient*innen aktiv etwas beitragen, wird dargelegt, wie Formen von Patient*innenbeteiligung gefördert werden können, die den Handlungsraum der Menschen sinnvoll erweitern.
Solidarität und Partizipation sind im öffentlichen und im bioethischen Diskurs zentrale Begriffe. Silke Schicktanz und Lorina Buhr weisen in ihrem Beitrag das Kollektive als deren gemeinsamen Bezugspunkt aus, der theoretisch auszuarbeiten sei. Ziel der Autorinnen ist es daher, ein differenziertes und für bioethische Diskurse anschlussfähiges Konzept von Kollektivität zu entwerfen und in Relation zu den normativen Grundbegriffen Partizipation und Solidarität zu setzen.
Die Diskussion der drei Grundbegriffe wird anhand von aktuellen Beispielen der datenintensiven medizinischen Forschung und mit Bezug auf die Covid-19-Pandemie veranschaulicht. Die Autorinnen plädieren dafür, die bislang enge individuumszentrierte bioethische Analyse um die Individuen, Kollektive und deren vielschichtige Beziehungen in Betracht nehmende Perspektive systematisch zu erweitern. Sie unterscheiden drei Arten von Kollektiven: (i) freiwillige, auf gemeinsame Ziele ausgerichtete Kollektive, (ii) unfreiwillige, auf Fremdzuschreibungen basierende Kollektive und (iii) affirmative Kollektive, deren Mitglieder sich die Kategorisierungen, die sie unfreiwilligen Kollektiven zuordneten, zu eigen und zur Grundlage politischen und emanzipatorischen Handelns machen.
Partizipation spezifizieren die Autorinnen mit Blick auf drei für den Kontext der medizinischen Forschung und Versorgung einschlägige Ebenen, denen je ein sich steigernder normativer Anspruch zugeschrieben wird: „die Zustimmung zur individuellen Bereitstellung von Daten oder Biomaterial […], die Konsultation bezüglich forschungs- und gesundheitspolitischer Ziele“ sowie „die Mitarbeit in Entscheidungsprozessen oder sogar als Mitforschende“ (S. 405). Im Anschluss an die Darstellung normativer Grundlagen und machtpolitischer Implikationen von Partizipation schlagen die Autorinnen fünf Kriterien für die Verbesserung von Verfahren der Beteiligung von Patient*innen und der Öffentlichkeit in der
Gesundheitsforschung vor. Zur Klärung des Konzepts von Solidarität knüpfen sie an eine Auffassung von Solidarität als Praxisform an, die sich drei verschiedenen Ebenen – Interpersonalität, Kollektivität, Recht – zuordnen lasse, sich im konkreten Handeln zeige und bestimmte erkennbare gruppenspezifische Gemeinsamkeiten voraussetze. Silke Schicktanz und Lorina Buhr fordern über eine praxeologische Perspektive hinaus eine bewusste Reflexion der dahinterstehenden gesellschaftskritischen und demokratietheoretischen Dimensionen.
19. Einsatz gentechnologischer Methoden in der Impfstoffentwicklung gegen das SARS-CoV-2-Virus
(2021)
In seinem Beitrag stellt Martin Korte die Suche nach einem wirksamen Corona-Impfstoff, insbesondere mit Blick auf die Rolle der Gentechnik, dar. Neben dem Virus selbst werden verschiedene Angriffspunkte für Impfstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften vorgestellt. Hauptangriffsziel sei das sog. Spike-Protein, ein Protein in der Hülle der Viren, welches das Andocken an bestimmte Rezeptoren der Wirtszellen ermögliche. Zu den verschiedenen bereits zugelassenen oder in der Entwicklung befindlichen Impfstoffarten gehören RNA-Impfstoffe, vektorbasierte Impfstoffe, rekombinante proteinbasierte Impfstoffe, inaktivierte Virusvektoren sowie DNA-Impfstoffe, von denen einige näher vorgestellt werden. Die Entwicklung der Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 sei einem im Vergleich zur herkömmlichen Impfstoffentwicklung (die viele Jahre dauert) beschleunigten Zeitplan gefolgt, der auch durch gentechnologische Plattformen, fortgeschrittene Sequenzierungen und genetische Editierungsmöglichkeiten, also präzise gentechnikbasierte Veränderungen in der Sequenz der DNA- und RNA-Impfstoffe, ermöglicht worden sei. Die Entwicklung sei auch durch Erkenntnisse aus der Entwicklung von Impfstoffen gegen früher aufgetretene, ähnliche SARS-Viren beschleunigt worden. Bestehende Herstellungsprozesse habe man übernehmen und Phase I/II-Studien bereits ineinander verschachtelt starten können. Phase-III-Studien seien bereits nach der Zwischenanalyse der Phase I/II-Ergebnisse begonnen worden. Auf diese Art und Weise, begleitet und genehmigt von den Zulassungsbehörden, seien mehrere klinische Studienphasen parallel durchgeführt, aber keine Zulassungsphase übersprungen oder mit kleineren Kohortenzahlen als bei der Zulassung anderer Impfstoffe gearbeitet worden.
Insgesamt hält Martin Korte fest, dass innerhalb von nur zwölf Monaten mehrere Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in Europa, USA und GB zugelassen worden seien, davon zwei mRNA-Impfstoffe und zwei vektorbasierte Impfstoffe. Dies wäre ohne sichere und effiziente gentechnologische Verfahren nicht möglich gewesen. Eine riesige Herausforderung bestehe nun darin 7–9 Milliarden Impfdosen herzustellen und über die gesamte Welt gerecht zu verteilen. Zudem seien parallel Impfstoffplattformen zu entwickeln, die sich laufend an mutierte Virusvarianten anpassen können, was auch zulassungstechnisch eine große Herausforderung sein werde.
Können wir mit Blick auf die molekularbiologischen, virologischen oder gentechnischen Aspekte das aktuelle Seuchengeschehen angemessen erfassen?
Die Medizinhistoriker Heiner Fangerau und Alfons Labisch skizzieren in ihrem Spotlight einen multiperspektivischen und zugleich integrativen Ansatz für eine Seuchengeschichte mit dem Ziel, „den gesamten Ereignisraum von den Ursachen, unter denen neue Erreger entstehen, über die weltweite Ausbreitung bis hin zu den Auswirkungen vor Ort zu erfassen“ (S. 437). Als Hintergrund ihrer Gedanken weisen sie das dynamische Verhältnis von Natur und Kultur und die daraus resultierenden, stets labilen lokalen und regionalen Biosphären aus. Sozial und kulturell bedingte wissenschaftliche und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse führten zur Benamung, Kommunikation und Inszenierung von – zunächst unbekannten – Krankheitsursachen und den nachfolgenden wiederum kulturell bedingten Gegenmaßnahmen. Auf der Grundlage einer datengetriebenen Produktion und Kommunikation führten Effekte einer weltweiten Verdichtung zu einer Neugestaltung und Störung von Biosphären – und damit zu den permanent drohenden „new emerging diseases“. Diese verschiedenen Aspekte könnten – notwendig immer im Gesamtzusammenhang gesehen – in weiteren Schritten auf einzelne Regionen, Krankheiten oder weitere Fragestellungen hin fokussiert werden. Die empirischen Ergebnisse stellten jeweils Knoten in einem nicht gewichteten Netz interagierender Faktoren dar: sie bildeten ein übergangs- oder nahtloses Netzwerk. Dies ermöglichte, jeweils lokal spezifizierte Seuchengeschehen in ihrem globalen Entstehen und Zusammenwirken zu analysieren.
Der Beitrag diskutiert die Hintergründe und Legitimationen für die restriktive Regulierung, die den Einsatz der Grünen Gentechnik in Europa bis in die Gegenwart blockiert. Die Regulierung wird mit der Vorsorge vor den besonderen Risiken gentechnisch veränderter Organismen begründet. Es gibt jedoch trotz umfangreicher Sicherheitsforschung und nach jahrzehntelangem Anbau außerhalb Europas bis heute weder empirische Anhaltspunkte noch auch nur ein theoretisches Modell dafür, dass gentechnisch veränderte Pflanzen schädlicher oder unsicherer sein könnten als konventionell gezüchtete neue Pflanzen. Gelegentliche alarmierende Befunde, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden sind, haben sich allesamt bei wissenschaftlicher Überprüfung als nicht einschlägig oder nicht tragfähig erwiesen.
Gleichwohl ist die von den führenden Wissenschaftsorganisationen erhobene Forderung nach einer Entschärfung der Regulierung weder in der Gesellschaft, noch in der Politik auf Resonanz gestoßen. Es gibt ein stabiles Meinungsklima, das der Akzeptanz der Grünen Gentechnik entgegensteht. Dass Pflanzen, die gentechnisch verändert sind eben deshalb ein besonderes Risiko bergen, gilt als ausgemacht.
Die Politik folgt eher der Risikowahrnehmung in der Bevölkerung als der Risikoprüfung in der Wissenschaft. Und sie hat dafür in Deutschland höchstrichterliche Billigung bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat die restriktive Regulierung unter Verweis auf den Widerstand in der Bevölkerung mit dem Vorsorgeprinzip gerechtfertigt.
Die gesellschaftliche und politische Blockade der Grünen Gentechnik ist eine Abkehr vom liberalen Innovationsregime: Neue Technik wird nicht zugelassen, weil sie mehrheitlich nicht gewollt ist. Das kann man als Demokratiegewinn verbuchen. Aber es hat erhebliche Kosten: Man gewinnt nichts für den Schutz der menschlichen Gesundheit und die Integrität der Umwelt und verbaut sich den Zugang zu technischen Optionen, die dazu beitragen könnten, die etablierte Landwirtschaft produktiver und zugleich ökologisch nachhaltiger zu machen. Ob Europa angesichts der neueren gentechnischen Methoden und Potenziale von der Blockade der Grünen Gentechnik abrücken kann, bleibt abzuwarten.
Das Spotlight von Hans-Georg Dederer analysiert das wegweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 25.07.2018 mit Blick auf die Urteilsbegründung und prozessuale Situation. Das genannte Urteil habe zur Folge, dass genomeditierte Organismen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen seien. Mit dieser Einstufung gingen umfangreiche Auflagen für die Freisetzung und das Inverkehrbringen dieser Organismen einher, welche dem Autor zufolge Probleme des Normvollzugs nach sich zögen. So entstünden u. a. hohe Hürden für die Genehmigung und Durchführung von Feldversuchen, aufwendige Kennzeichnungspflichten und Schwierigkeiten der Nachweisbarkeit bestimmter Mutationen, die bspw. bei Haftungsfragen wegen „gentechnischer Kontamination“ relevant werden könnten. Des Weiteren dürften sich negative welthandelsrechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen ergeben, wobei der Autor das unterschiedliche Schutzniveau von genomeditierten Organismen gegenüber weitaus stärker und unspezifischer veränderten Mutageneseorganismen als inkonsistent und mit dem Recht der Welthandelsorganisation unvereinbar sowie als schwer zu rechtfertigende Handelshemmnisse für Drittstaaten einstuft. Der Beitrag endet mit einem Appell an die Politik, die relevante Richtlinie 2001/18/EG zu ändern.
Kann Gentechnik einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft leisten?
Geleitet von dieser Frage erstellt Ortwin Renn in seinem Beitrag eine „Nachhaltigkeitsbilanz“ der Grünen Gentechnik. Der Autor plädiert dafür, nachhaltige Entwicklung als Leitbild für eine gemeinwohlorientierte Gentechnikbewertung zu etablieren und stellt Chancen und Risiken von Gentechnik jeweils mit Blick auf die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Dimension von Nachhaltigkeit dar. Unter ökologischer Nachhaltigkeit fasst er v.a. drei Ziele: Dekarbonisierung, Dematerialisierung und Renaturalisierung. Während Gentechnik sich kaum auf die beiden ersteren auswirke, lasse sie mit Blick auf Renaturalisierung und Biodiversität sowohl größere Chancen als auch größere Risiken erkennen. Einerseits könnten gentechnisch veränderte Pflanzen einen substanziellen Beitrag zu ökologischer Nachhaltigkeit leisten, bspw. durch die Herstellung an regionale Bedingungen angepasster bzw. ertragreicherer Pflanzensorten. Andererseits bestünden durch potenziellen Gentransfer von Kultur auf Wildpflanzen sowie den durch die Gentechnik möglicherweise beschleunigten Trend hin zu Monokulturen die Risiken einer Verringerung der Biodiversität und Belastungen von Ökosystemen.
Unter ökonomischen Aspekten der Nachhaltigkeit fasst Ortwin Renn ebenfalls drei Ziele: Versorgungssicherheit, Förderung der Kreislaufwirtschaft sowie sozial und langfristig abgesicherte Beschäftigungs- und Eigentumsverhältnisse (bspw. die Sicherung der Existenzfähigkeit bäuerlicher Betriebe). Der Gentechnik attestiert er „das Potenzial, mittel- und langfristige wirtschaftliche Vorteile für Anbieter von Agrardienstleistungen, Saatguthersteller und landwirtschaftliche Betrieben zu bieten“ (S. 489), die allerdings unter den gegebenen Marktstrukturen hauptsächlich großen Agrarfirmen und Saatgutherstellern zu Gute kämen. Gentechnik spiele bei den gegenwärtigen Konzentrationsprozessen keine ursächliche, möglicherweise aber eine verstärkende Rolle. Sie biete aber auch Chancen für Kleinunternehmen, ihr Einkommen zu verbessern und ihre
Existenz zu sichern.
Der sozialen Komponente der Nachhaltigkeit ordnet Ortwin Renn vier Ziele zu: „Gleichheit der Lebensbedingungen (intra- und intergenerationale Gerechtigkeit), Erhalt der menschlichen Gesundheit, Souveränität und Teilhabe am wirtschaftlichen und politischen Geschehen sowie soziale und kulturelle Akzeptanz“ (S. 490).
Ob Gentechnik zur Erreichung dieser Ziele beitrage oder ihnen abträglich sei, hänge v. a. von der Art ihrer Einführung und Regulierung ab, wobei der Autor das Potenzial für Chancen in diesem Bereich als eher gering, das für Risiken dagegen als weitreichend, aber nicht schwerwiegend einstuft.
Der Beitrag von Jürgen Hampel und Kolleg*innen stellt die Ergebnisse des TechnikRadar 2020, einer aktuellen Studie über die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu verschiedenen Anwendungen der Gentechnik vor. Bei der Untersuchung der Einstellungen zum Gentechnikeinsatz in der Landwirtschaft wurden die Einstellungen zur klassischen Gentechnik und zur seit Jahrzehnten eingesetzten, bisher aber kaum umstrittenen Mutagenesezüchtung, bei der neue Pflanzensorten durch den Einsatz von genverändernder Bestrahlung oder von Chemikalien hergestellt werden, verglichen. Beide Techniken seien auf hohe Ablehnung gestoßen, was die Autor*innen auf verbreitete und durch Werbung verstärkte, romantisierende Vorstellungen von Landwirtschaft, die Hochschätzung von Natur und Natürlichkeit sowie fehlende Nutzenerkennung zurückführen. Auch gegenüber der gentechnischen Herstellung von Laborfleisch, das von Befürworter*innen als Ansatz zur Lösung globaler Ernährungs-, Umwelt- und Tierschutzprobleme dargestellt werde, bestehen der Studie zufolge große Vorbehalte seitens der Öffentlichkeit. Als Gründe für die verbreitete Ablehnung werden u. a. Entfremdung, Sicherheitsbedenken und dass Laborfleisch kaum als adäquater Lösungsansatz für die globalen Ernährungsprobleme gesehen wird, angeführt. Im Bereich medizinischer Anwendungen fragte der TechnikRadar 2020 zunächst die Einstellungen zur Gewinnung von Ersatzorganen aus genetisch veränderten Tieren (Xenotransplantation) sowie aus Stammzellen (Organoide) ab. Tierschutzgründe hätten zu einer hohen Ablehnung der Xenotransplantation geführt, wohingegen die Transplantation von im Labor hergestellten Organoiden hohe Zustimmungswerte verzeichnet habe und nur von einem Fünftel für ethisch inakzeptabel gehalten werde. Bei der Untersuchung der Einstellungen zur Gentherapie differenzierte die Studie zwischen Gentherapie am Erwachsenen, Gentherapie am Embryo und Keimbahntherapie, denen jeweils eine stark abgestufte Akzeptanz korrespondiere: während 70 % der Befragten Gentherapie an Erwachsenen befürworteten, habe nicht einmal jeder Fünfte der Keimbahntherapie zugestimmt.
Die grundsätzliche Ablehnung der Keimbahntherapie falle jedoch mit der Hälfte der Befragten im Vergleich zu früheren Umfragen überraschend gering aus. Die Autor*innen betonen abschließend die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Einstellungen zur Gentechnik entlang bestimmter Anwendungen, die eine pauschale Ablehnung Grüner und eine pauschale Zustimmung zu Roter Gentechnik hinter sich gelassen habe und fordern, dies in der Wissenschaftskommunikation zu berücksichtigen.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Arbeit der IAG Gentechnologiebericht sind die sog. Problemfelderhebung und die Indikatorenanalyse, die hinsichtlich ihrer Ziele, Methodik und Ergebnisse in dem Beitrag von Angela Osterheider, Louise Herde und Lilian Marx-Stölting vorgestellt werden. Im Zentrum steht dabei das vielschichtige und von den verschiedensten Fachdisziplinen geprägte Feld der Gentechnologien in Deutschland. Darunter fallen Themen, die zum Teil seit Beginn der Arbeit der IAG im Rahmen von Themenbänden behandelt worden sind: so wird eine Untersuchung der Entwicklung über die Zeit hinweg ermöglicht: Gentherapie, Grüne Gentechnologie, Gendiagnostik, Stammzellforschung, Epigenetik, synthetische Biologie und Organoidforschung (als Teilbereich der Stammzellforschung).
Diese Themenfelder werden in einer messbaren und repräsentativen Form für die fachliche und interessierte breitere Öffentlichkeit erschlossen. Im Rahmen dieses Ansatzes werden zunächst qualitative Problemfelder, d. h. öffentlich diskutierte Aspekte und Fragen zu den Themen, erhoben, die dann den vier Leitdimensionen (wissenschaftliche, ethische, soziale und ökonomische Dimension) sowie Indikatoren (quantitative Daten im Zeitverlauf) zugeordnet werden. Die im Rahmen des Fünften Gentechnologieberichts beleuchteten Problemfelder sind: Realisierung Forschungsziele, Forschungsstandort Deutschland, öffentliche Wahrnehmung, soziale Implikationen, gesundheitliche Risiken, Dialogverpflichtung der Forschung und ethische Implikationen. Die Indikatoren, die die genannten Problemfelder quantitativ beschreiben und somit ihre Bedeutung messbar machen sollen, betreffen die mediale Abbildung, die Anzahl an Neuerscheinungen, Online- Suchanfragen, internationalen Fachartikeln, Fördermitteln durch den Bund, die DFG und die EU sowie öffentlichen Veranstaltungen zu den jeweiligen Themenfeldern.
Die synthetische Biologie (SynBio) ist ein höchst interdisziplinärer Forschungszweig, der ein ganzes Spektrum naturwissenschaftlicher Disziplinen vereint. Dies führt zu Schwierigkeiten, Expert*innen auf dem Gebiet als solche zu erkennen, da sich selbst Wissenschaftler*innen der SynBio nicht vorrangig als solche bezeichnen würden.
Der Beitrag von Angela Osterheider und Kolleg*innen verfolgt daher zwei Ziele:
Zum einen wird die Webapplikation ExpertExplorer vorgestellt, die fachlich ausgewiesene Expert*innen auf einem Forschungsgebiet anhand ihrer Publikationen ermitteln kann. Zum anderen beschreiben die Autor*innen unter Anwendung des ExpertExplorers die Forschungslandschaft SynBio, indem v. a. in Deutschland tätige Wissenschaftler*innen mit Expertise auf dem Gebiet der synthetischen Biologie recherchiert werden. Abschließend wird die Funktionsweise des ExpertExplorers sowie die vorgestellte Analyse reflektiert und ein Fazit gezogen. Die Autor*innen halten die Applikation für geeignet, um sich schnell und umfassend einen aktuellen Überblick über fachlich ausgewiesene Expert*innen auf den Feldern biomedizinischer Forschung zu verschaffen und auch langfristige Entwicklungen von Forschungslandschaften sichtbar zu machen.
27. Anhang
(2021)
Schriftquellen und archäologische Zeugnisse erlauben Einblicke in den
mittelalterlichen asiatischen Seehandel. Doch darf man die maritime
Bühne Asiens auf Handelsbeziehungen reduzieren? Wie treffend ist
das beliebte Bild von der »Maritimen Seidenstraße«? Wie steht es um
Konzepte und Theorien, etwa um die Möglichkeit, Braudel’sche Normen
auf Asien zu übertragen? Und wie ist die Rolle Zheng Hes zu werten?
Das Thema ist aktueller denn je, zumal Beijing für eine Wiederbelebung
früherer Kontakte in neuem Format wirbt.
Nachhaltige Medizin
(2021)
Unter dem Titel „Nachhaltige Medizin“ beleuchtet dieser „Denkanstoß“ Perspektiven der (bio-)medizinischen Forschung und Versorgung zu wichtigen Themenfeldern unter besonderer Berücksichtigung von Aspekten der Infektion und Immunologie und mit Bezug zur COVID-19-Pandemie der Jahre 2020/2021. Mit Beiträgen von Nikolaus Rajewsky, Andreas Diefenbach, Andreas Radbruch, Lothar H. Wieler et al.
Dieser Kongressvortrag aus dem Jahr 2006 stellt Schleiermacher als Kirchenkundler vor. Das Christentum tritt für Schleiermacher stets als organisierte Lebensgemeinschaft in Erscheinung. Seine „kirchliche Statistik“ genannte Vorlesungen über die christlichen Kirchen der Gegenwart haben daher weniger Dogma und Lehre zum Gegenstand als vielmehr inneres Leben, Soziologie und Kirchenverfassung.
Friedrich Heitmüller (1888—1965), langjähriger Leiter der Gemeinde am Holstenwall in Hamburg, gehörte zu den bekanntesten Köpfen der Gemeinschaftsbewegung und dann des freikirchlichen Protestantismus. Im Frühjahr 1934 trat er mit seiner Gemeinde aus der hamburgischen Landeskirche aus; gleichzeitig publizierte er eine Broschüre, die, hervorgegangen aus Vorträgen, im Stil evangelistischer Erweckungspredigten für den Nationalsozialismus und dessen kulturelle und kirchenpolitische Ziele warb.
Claus Harms, populärer Prediger in Kiel und weithin bekannt als streitbarer Gegner des Rationalismus, antwortete 1826 mit einem Leserbrief auf die Rezension eines Predigtbandes von ihm in den „Jahrbüchern der Theologie“. Darin verteidigte er die Legitimität der Kanzelpolemik. In seinen späteren Vorlesungen über die Pastoraltheologie nahm er das Lob der Polemik allerdings teilweise wieder zurück.
Im Jahr 1595 erschien in Frankfurt an der Oder ein anonymes lateinisches Büchlein, die „neue Disputation gegen die Frauen, durch die bewiesen wird, dass sie keine Menschen seien“: Es führt mithilfe aus dem Zusammenhang gerissener und miteinander zu logischen Schlüssen verknüpfter Bibelstellen den Beweis, dass Frauen (ebenso wie Tiere) ohne Vernunft seien, nicht sündigten, nicht Gegenstand des göttlichen Erlösungswerks seien und dessen auch gar nicht bedürften. Das Werk sorgte für Aufsehen und veranlasste zahlreiche Vertreter des orthodoxen Luthertums zu Gegenschriften zur Verteidigung der Frauen. Tatsächlich war die „neue Disputation“ wohl nur als Satire auf die in Polen tolerierten Sozinianer und ihre Art, gegen die Trinitätslehre und andere Dogmen zu disputieren, gemeint. – Die in der Reihe „Bibliotheca Neolatina erschienene Neuausgabe dieses kleinen Textes ist leider in jeder Hinsicht misslungen.
RDMO ‒ Schnellstartanleitung
(2021)
Die Anleitung richtet sich an alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), welche die BBAW-Instanz der webbasierten Software "Research Data Management Organiser" (RDMO) nutzen. RDMO unterstützt Forschende durch einen vordefinierten und an die Besonderheiten der BBAW angepassten Fragenkatalog bei der Verwaltung von Datenmanagementaufgaben über den gesamten Datenlebenszyklus hinweg. Die Initiative "Forschungsdatenmanagement" erstellt gemeinsam mit allen Projekten und Vorhaben, die mit digitalen Forschungsdaten arbeiten, einen Datenmanagementplan.
Die vorliegende Handreichung gibt einen kurzen Überblick über die Funktionen von RDMO und unterstützt die Nutzenden beim selbstständigen Einsatz des Online-Werkzeugs zur Verwaltung und Aktualisierung ihres Datenmanagementplans.
Der „Denkanstoß“ skizziert Möglichkeiten für den Umgang mit den Folgen der Corona-Krise und darüber hinaus, um jungen Wissenschaftler:innen angemessene Bedingungen für gute Arbeit in Forschung und Lehre zu ermöglichen: Thematisiert werden Fragen der Befristungspraxis und wissenschaftliche Karrieren, disziplinüberschreitende Forschung, öffentliche Vermittlung und Transfer von Forschungserkenntnissen, Sichtbarkeit und Vielfalt in öffentlichen Debatten sowie – im Hinblick auf Studierende – pragmatische Regelungen für den erfolgreichen Abschluss des Studiums.
Mit der Digitalisierung der Wissenschaftskommunikation verbindet sich eine Vielzahl neuer Kommunikationsformen und Partizipationsmöglichkeiten, die das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft grundlegend verändern. In diesem Band wird ein Theorierahmen entwickelt, der hilft, diese Veränderungen anhand konkreter Beispiele wie Open Science, Plagiats-Wikis oder Wissens-Communities einzuordnen, Forschungsbefunde zu systematisieren und auf offene Fragen hinzuweisen. Die Autorinnen und Autoren waren Mitglieder der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Implikationen der Digitalisierung für die Qualität der Wissenschaftskommunikation“ (2018-2021).
The article provides guidelines for encoding critical digital editions for the Patristic Text Archive and beyond.
The article provides a new critical edition of the so-called Epistula synodalis by Amphilochius of Iconium.
In der Ausgabe „Verantwortungsvoller Einsatz von KI? Mit menschlicher Kompetenz!“ präsentieren die Mitglieder der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Verantwortung: Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz“ ihre Empfehlungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Sie plädieren u. a. dafür, die menschlichen Kompetenzen im Umgang mit diesen neuen Technologien zu stärken.
Die Empfehlungen werden durch Beiträge ergänzt, die sich mit der rechtlichen Dimension rund um KI-Anwendungen, mit Ansätzen von Ethics by Design sowie mit den Folgen für die Demokratie auseinandersetzen.
In der Anwendung von Linked Data und Semantic Web Technologien ist eine Entwicklung von der Verlinkung und Publikation, hin zu Werkzeugen der Datenanalyse erkennbar. Historische Rechnungsunterlagen liefern eine reichhaltige quantitative und qualitative Datengrundlage, die sich aus der Struktur der Transaktion, also dem Fluss von Wirtschaftsobjekten zwischen Wirtschaftssubjekten, ergibt. Die Bookkeeping-Ontology formalisiert diese und ermöglicht die semantische Interoperabilität über historische Quellen hinweg. Im Projekt Digital Edition Publishing Cooperative for Historical Accounts (DEPCHA) wird nicht nur an der Veröffentlichung von digitalen Editionen bzw. Datensätzen historischer Rechnungsunterlagen gearbeitet, sondern auch an Funktionalitäten der Exploration, Selbstorganisation und Visualisierung. Um dies zu ermöglichen, soll ein interaktives Dashboard als Webinterface angeboten werden.
Im Referenzmodell der Informationsvisualisierung nach Card et. al. sind konkrete Anwendungsszenarien, die durch die Visualisierung bearbeitbar gemacht werden sollen, zentral. Somit entsteht ein Spannungsfeld zwischen generischen und Use Case zentrierten Visualisierungen, die sich unmittelbar an die Anforderungen von Historiker*innen richtet. Der Vortrag versucht der Frage nachzugehen, inwieweit die semantischen Strukturen von Transaktion, formalisiert durch die Bookkeeping-Ontology und eingebettet in eine Knowledge Base, genutzt werden können, um anforderungsspezifische, aber dennoch (möglichst) generische Visualisierungen zu erzeugen, aus denen sich ein Dashboard für genannten Quellentypus ableiten und umsetzen lässt.
Einführung
(2019)
Historische Gärten sind als denkmalgeschützte Kulturgüter wertvolle Zeugnisse unserer Zivilisation. Wie lassen sie sich unter veränderten klimatischen Bedingungen bewahren? Vertreter/-innen aus den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Gartendenkmalpflege stellen erstmals gemeinsam Lösungsstrategien für die Bewahrung historischer Gärten als Gesamtkunstwerke unter dem Vorzeichen des Klimawandels vor.
Eine Analyse des historischen und künstlerischen bzw. kunsthistorischen Wertes einer historischen Gartenanlage muss – insbesondere auch im Hinblick auf sich wandelnde Klima-, Umwelt- und Nutzungsanforderungen – allen Maßnahmen ihrer Pflege, Erhaltung, Wiederherstellung oder Rekonstruktion zugrunde liegen. Sie wird aus den Befund und Quellenuntersuchungen im Abgleich mit den Parametern der Gartenkunstgeschichte und im naturwissenschaftlichen Zugriff (Pflanzenbestand) zielbezogen erstellt (Parkpflegewerk). Aufgrund der lebendigen und fragilen (»natürlichen«) Materialität des Gartenkunstwerks stellen die Sollzustände zwangsläufig Interpretationen und Konstrukte der leitenden Denkmalschicht(en) dar, die ggfs. keinen punktuellen Idealzustand, sondern eine Entwicklung der Anlage veranschaulichen.
Die Kultivierung und Bewahrung von Gärten und Gartenlandschaften als schöne Künste ist seit Jahrtausenden Ausdruck der Kultur. Sie wird dem Menschen in Zeiten des Klimawandels, der immer knapper werdenden Ressourcen infolge der ansteigenden Weltbevölkerung zu einer wesentlichen Kulturaufgabe unserer Gesellschaften.
Zur Bewahrung historischer Gärten hat sich in den letzten 100 Jahren eine Methodik der »Gartendenkmalpflege« entwickelt, die aufgrund besonderer Umweltabhängigkeiten nicht nur auf die Konservierungs-, Restaurierungs- und Kulturwissenschaften angewiesen ist, sondern künftig deutlicher die Naturwissenschaften einbeziehen muss. Gärten als Kulturdenkmale sind besondere Stätten der Wissenschaft und Forschung.
Tradition und Fortschritt der Gärten in der Kulturgeschichte der Menschheit gehen einher mit einem Wandel des Naturverständnisses, der Darstellung von Gesellschaftsmodellen und stetem Bildungsanspruch. Das führt zu einer ethischen Orientierung für künftige Generationen im Umgang mit der gestalteten und unberührten Natur.
Inwiefern wurde und wird wissenschaftliches Wissen mit historischen Gärten in Zusammenhang gebracht? Über diese Frage gibt es eine reichhaltige kunst- und architekturhistorische Literatur, die zu einem gewichtigen Teil auf repräsentative höfische und adelige Einrichtungen bezogen ist. In letzter Zeit ist eine rege Forschungsliteratur über herrschaftliche Gärten einerseits und über spezifisch für naturhistorische Zwecke angelegte Gärten auch im Bereich der Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik andererseits entstanden, mit Schwerpunkt in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert. Die Zeit nach 1900 und insbesondere die neueste Zeit scheinen hingegen – mit Ausnahme der zoologischen Gärten – weniger thematisiert worden zu sein. Was mögen diese auf den ersten Blick unterschiedlich erscheinenden Gartengeschichten miteinander zu tun haben? Ab wann ist es möglich, von einer Wissenschaft des Gartenbaudesigns zu sprechen, ab wann wird Gartendenkmalpflege selbst zu einer akademischen Disziplin, und wie wird naturwissenschaftliches Wissen hier einbezogen? In diesem Beitrag sollen Thesen zu einer Wissensgeschichte historischer Gärten anhand einer Auswahl der vorhandenen Literatur sowie entlang der eben genannten Fragestellungen formuliert und mit den in diesem Band fokussierten Berlin- Brandenburgischen Beispielen nach Möglichkeit in Verbindung gebracht werden.
»Der Einfluss des Himmels« : Beziehungen zwischen Klimatheorie und Gartenkunst im 18. Jahrhundert
(2019)
Der Beitrag untersucht, wie das von der Klimatheorie geprägte Verständnis vom Einfluss des Klimas auf den Charakter – sowohl von Individuen und Gruppen als auch von Landschaften – die Theoriebildung hinsichtlich des Landschaftsgartens und seine diskursive Rezeption mitgeprägt hat. Er identifiziert Begriffs- und Bedeutungsebenen, die als Brücken zwischen Klimatheorie und Gartenkunst im 18. Jahrhundert fungieren. Sie sind damit an der Ausbildung einer normativen Ästhetik beteiligt, die Konzepte von Natur und Landschaft in die Konstruktion qualitativer Hierarchien von Kulturräumen einbeziehen, die in den Gärten manifestiert sind.
Für den Entwurf bzw. die Schaffung größerer Parkanlagen wurden in der Vergangenheit nur diejenigen Gartenkünstler herangezogen, die über ein vielseitiges Wissen und gute Fertigkeiten im Bereich der Gartenpraxis, -theorie, Kunst und Technik verfügten. In diesem Beitrag wird ein Einblick in die gartenkünstlerische Ausbildung vom ausgehenden 17. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert gegeben. Dabei wird diese Entwicklung konkret am Beispiel der Ausbildungswege der Schöpfer der vier von der interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) ausgewählten Parkanlagen (Tiergarten in Berlin, Wörlitz, Babelsberg, Branitz) nachvollzogen.
Das Bodenrelief ist eines der wesentlichen Ausdrucksmittel der Gartenkunst. Der vorgefundene Geländeverlauf bedeutet sowohl Inspiration als auch Gestaltungspotential für den Gartenkünstler. Diese Fallstudie befasst sich mit der Umformung des Terrains im Zuge der Anlage des Parks Babelsberg durch Peter Joseph Lenné ab 1833, ab 1842 durch Hermann Fürst von Pückler-Muskau. Exemplarisch werden Hinweise auf kulturelle Konnotationen geomorphologischer Situationen herausgearbeitet. Es lässt sich eine Verankerung von Gestaltungsmotiven wie Gedenken an militärische Ereignisse, dynastisch-familiäre Bezüge, landschaftliche Besonderheiten des Herrschaftsraums nachzeichnen.
Topographisches Wissen wird zudem in bildlichen Darstellungen transportiert – von der Karte über die Planzeichnung bis zu Abbildungen in gartentheoretischen Publikationen. Welche Kriterien der Topographie erscheinen im »Bild«, an wen ist es adressiert und ist ihm ein eigener Kunstwert zuzumessen?
Drei der historischen Gärten um Dessau sind bei den letzten Hochwasserereignissen vor einigen Jahren stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Bereits wenige Jahre nach der Erstanlage des Wörlitzer Landschaftsgartens ereilte ihn ein ähnliches Schicksal, sodass die
Entwicklung der Parkanlage im Umgang mit Hochwasser im Zentrum der Überlegungen steht. Die letzten Hochwasser haben multiple Ursachen. Der Klimawandel ist einer der Faktoren, wobei aber auch andere anthropogene Ursachen eine Rolle spielen.
Die Bewirtschaftung, Pflege und Unterhaltung von historischen Gärten muss gerade in Zeiten eines sich wandelnden Klimas nachhaltig gestaltet werden. Dazu gehören die in diesem Beitrag dargestellten Aspekte einer Wiederanlage und Bewirtschaftung von Nutzgartenpartien, der Betrieb von Parkbaumschulen und ein Pflegemanagement, das geschlossene Stoffkreisläufe zum Ziel hat. Alle drei Ansätze haben Vorbilder im historisch dokumentierten Umgang mit Parks und Gärten im 18. und 19. Jahrhundert.
Um die Auswirkungen des Klimawandels auf historische Parkanlagen abzuschätzen, wurden beobachtete Klimadaten für die vier ausgewählte Parkanlagen in Berlin und Brandenburg ausgewertet und regionalen Modellsimulationen für zwei Zukunftsszenarien (RCP 4.5 und RCP 8.5) bis zum Jahr 2100 gegenüber gestellt. In der bodennahen Lufttemperatur
erkennt man, dass im letzten Jahrhundert eine Erwärmung stattgefunden hat, die sich in der Zukunft fortsetzen wird (bis zum Jahr 2100 um ca. 1 °C [RCP 4.5] bis 3 °C [RCP 8.5]). Auch der Niederschlag hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, wobei der Winterniederschlag stärker anwuchs als der Sommerniederschlag. Dieser Trend setzt sich im RCP 8.5 Szenarium bis zum Jahr 2100 fort.
Untersucht werden in dieser Studie die Gehwege des Tiergartens. Anhand von Feldmessungen auf neun verschiedenen Wegen mit unterschiedlichen Konfigurationen von Breite, Vegetation und Beschattung und einer ENVI-met-Simulationsreihe von fünfzehn entsprechenden Szenarien untersucht diese Studie, wie sich der Vegetationstyp entlang des Weges, der Überdachungszustand und die Gehwegbreite auf den menschlich-thermischen Komfort auswirken.
Zur Struktur, Vielfalt und Entwicklung der Gehölzflora in historischen Gärten und Kulturlandschaften liegen in der Regel zahlreiche historische und aktuelle Dokumentationen vor. Im Gegensatz dazu fehlen entsprechende Informationen zur räumlichen und zeitlichen Variabilität von Böden und ihres Wasserhaushalts. Ein Vergleich der für den Schlosspark Branitz und das Dessau-Wörlitzer Gartenreich vorliegenden aktuellen Kartierungsergebnisse liefert hier wichtige Hinweise auf die große Heterogenität der Substrateigenschaften und die bodenhydrologischen Bedingungen. Hierbei zeigt sich, dass die aus natürlichen Prozessen der Landschafts- und Bodengenese hervorgegangenen Böden sowohl durch Vornutzung als auch durch gestalterische Eingriffe zum Teil stark überprägt sind. Für den Park Babelsberg fehlt eine solche hochaufgelöste Information. Diese Befunde verdeutlichen, dass eine gezielte und ressourceneffiziente Bewirtschaftung und Bestandsplanung nur möglich ist, wenn die Standortheterogenität und andere Aspekte räumlich hochaufgelöst erfasst und in einem weiteren Schritt mit modernen Methoden der Geodatenverarbeitung (GIS) abgebildet und analysiert werden. Mit Blick auf präventive Maßnahmen zur Klimaanpassung und die Abwehr von Schäden in akuten klimatischen Extremsituationen ist daher die flächenhafte Erfassung der bodenkundlichen und bodenhydrologischen Standortbedingungen für eine zukunftsorientierte gartenpflegerische Planung eine unabdingbare Grundvoraussetzung.
Die Verwendung fremdländischer Gehölze hat in der Gartenkunst eine lange Tradition. Im Staat Preußen entstand durch die Errichtung einer Landesbaumschule 1823 ein europaweit herausragendes Sortiment an Gehölzen. Ein Teil davon wird noch heute im Park von Sanssouci bewahrt, im Jahre 2000 waren es 212 Arten und weitere 116 Sorten. Dies ist ein einmaliger Kulturschatz. Die fremdländischen Bäume konzentrieren sich in den Sonderbereichen der Gärten. Die Parks der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) selbst bestehen zu ca. 80 % aus heimischen Gehölzen1. Auch ihre Artenzahl ist erstaunlich hoch. Da sich sehr wahrscheinlich die mit diesen Gehölzen verbundenen Lebensgemeinschaften erhalten konnten, sind historische Parks auch für die Vielfalt innerhalb der Ökosysteme von erheblichem Wert. Die Vielfalt an fremdländischen und heimischen Gehölzen und damit verbunden auch die genetische und ökosystemare Diversität können für die Entwicklung von Adaptionsmaßnahmen im Klimawandel von erheblichem Nutzen sein. Gebietseigene Herkünfte haben sich stets in den Gärten erhalten. Fremdländische Arten wurden akklimatisiert und auf ihre Vitalität im Gastland hin selektiert. Sie könnten als Ausgangspunkt auch für die Grüne Infrastruktur der Städte dienen.
In einer durch Landnutzung und Klimawandel massiv veränderten Welt werden historische Gärten zu potentiellen Refugien für wildlebende Tiere und Pflanzen. Darüber hinaus reagieren zahlreiche Arten bereits auf den Klimawandel, mit verschiedenen Implikationen für die Gärten. Ein besseres Verständnis dieser hier umrissenen komplexen Beziehungen ist dringend notwendig, auch und insbesondere zur besseren Erschließung von Synergiepotentialen im Erhalt des Kultur- wie Naturerbes historischer Gärten.
Wildtiere spielen in historischen Gärten heute sehr unterschiedliche Rollen. Sie waren oftmals Grund für deren Etablierung (Tiergärten) oder Teil der Installation (Landschaftsgärten). Heute besiedeln Wildtiere die Gärten meist selbstständig und ohne menschliches Zutun. Ihre Anwesenheit kann, je nach Sichtweise, als positiv (Bereicherung des Gartenaspektes, Artenschutz) oder als ausgesprochen negativ (Schäden, insbesondere an Vegetation und Gebäuden, Verdrängung heimischer Arten durch invasive Neozoen) empfunden werden. Gelegentlich, wenn etwa gefährdete oder zumindest geschützte Arten wie Biber oder Fischotter große Schäden verursachen, lässt sich selbst diese Differenzierung nicht mehr klar treffen. Der vorliegende Beitrag zeigt Beispiele für die Rolle unterschiedlicher Tierarten in historischen Gärten und diskutiert mögliche Managementansätze, um in ihnen bestimmte Arten unter den spezifischen Bedingungen des urbanen Lebensraumes mit sehr heterogenen Ansichten und Einstellungen der Bevölkerung entweder zu fördern, zu tolerieren oder aus den Gärten fernzuhalten.
Seit 1992 werden für die Landeshauptstadt Potsdam alle sechs Jahre Daten zu Landnutzung (Biotopen), Versiegelung und Grünvolumen erfasst. Neben der Möglichkeit, die städtebauliche Entwicklung nachzuvollziehen, macht die Dokumentation der Entwicklung dieser Indikatoren die Bedeutung der historischen Parkanlagen nicht zuletzt wegen ihrer zentralen Lage im Siedlungsverbund deutlich. Auch bezogen auf eine wirkungsvolle Klimaanpassung im Sinne der Reduktion von Hitzestress spielen die Gärten für die Stadt eine große Rolle, weil die quantitativen und qualitativen Werte der Vegetation nicht, wie in der Umgebung, durch Siedlungsverdichtung in Frage gestellt werden. Das drückt sich auch in deutlich höheren Biotopwerten als in der Umgebung der Parkanlagen aus. Die Kontinuität und der hohe Detaillierungsgrad des städtischen Umweltmonitorings sind zudem geeignet, wertvolle Hinweise für die Bewirtschaftung und das Pflegemanagement der Parkanlagen zu liefern.
Der Beitrag stellt das Methodenspektrum der zerstörungsfreien Prüfverfahren vor, das für die gebaute Infrastruktur einen hohen Sicherheitsstandard gewährleistet. Auch Bauwerke in historischen Gärten können von der Kenntnis dieser Verfahren profitieren. Es werden Regelwerke und Funktion gebräuchlicher zerstörungsfreier Prüfverfahren beschrieben, sodass ein für die jeweilige Fragestellung geeignetes Verfahren ausgewählt werden kann. Die Methoden erlauben ein vorausschauendes Erhaltungsmanagement; das bedeutet, dass Gegenmaßnahmen bereits vor Eintritt von offensichtlichen Schadensbildern getroffen werden können.
Der Beitrag fokussiert aus einer soziologischen Perspektive auf die vielfältige Einbettung der die historischen Gärten verwaltenden Organisationen und unterscheidet zwischen kognitiver, kultureller, struktureller und politischer Embeddedness. Mit Methoden der qualitativen Sozialforschung und auf Basis eines explorativ erhobenen Interviewmaterials zeigen wir, dass die Resilienzstrategien der Gärten im Umgang mit (Klima-)Risiken auch von ihrer jeweiligen Einbettung abhängen.